
Aus dem Dunkel ans Licht: Meine Schatten und ich
Es gibt Tage, an denen lasten mir die ungelösten Fragen und Beschwernisse meiner Vergangenheit und das damit untrennbar verknüpfte Empfinden und erneute Durchleben von Scham, Schuld und Ratlosigkeit unendlich schwer auf der Seele. Verschwommene, aber umso beklemmendere und schmerzliche Erinnerungsfetzen tauchen unerbeten vor meinem inneren Auge auf und hindern mich daran, mich stattdessen auf die im Augenblick unerreichbaren schönen und bestärkenden Aspekte meiner Persönlichkeit und meines Lebens auszurichten. In solchen Momenten wird mir mit schier unerbittlicher Wucht bewusst, wie sehr ich noch immer, selbst nach Jahrzehnten, unter meinen seelischen Traumata leide und welch immensen Einfluss sie bis zum heutigen Tag auf mich und mein Leben haben. Ich fühle mich dann noch immer als hilf-und wehrloses Opfer von seelischer Gewalt, und schäme mich für diese andauernde Hilf- und Wehrlosigkeit vor mir selbst.
Was dieses ausgesprochen düstere Selbstbild zusätzlich verstärkt ist, mir noch immer voller Scham- und Schuldgefühle eingestehen zu müssen, dass ich nicht nur Opfer, sondern gleichzeitig auch zum Täter geworden bin, der anderen Menschen in der Vergangenheit bewusst und willentlich, aus dem eigenen Schmerz und erlebter Ohnmacht heraus, selbst Schaden und seelischen Schmerz zugefügt hat – ohne es damals zu bereuen, und heute ohne die Möglichkeit der Wiedergutmachung, Klärung und Vergebung.
Nun sind mir heute, nach vielen Therapien und eigenständiger innerer Arbeit, die seelischen Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten dieses gleichzeitigen Opfer- und Täterseins bewusst. Doch ungeachtet dessen gelingt es mir nicht, dazu eine dauerhafte, konsistente und vor allem tief erfühlte, von Selbstvergebung geprägte innere Haltung zu entwickeln. Der seelische Schmerz sitzt einfach zu tief und bringt mich immer wieder dazu, mich aus gänzlich unbewältigten Scham-, Angst- und Schuldgefühlen heraus in mir zu verkriechen und zu verstecken; tief im Innern befürchtend, andere Menschen könnten meiner Schlechtigkeit und Feigheit irgendwann auf die Spur kommen und mir ihre (vollkommen berechtigte) Verachtung und ihr (ebenso berechtigtes) Entsetzen ins Gesicht schleudern.
Dass diese einseitige und äußerst dunkle Sichtweise auf mich selbst lediglich einen Teilaspekt meiner Biografie und meines Selbstbildes beschreibt, ist mir natürlich bewusst. Denn gerade in den letzten Jahren durfte ich zahlreiche gegenteilige Erfahrungen machen, als ein Mensch, der innerlich gereift ist und der sich weiterentwickelt hat. Wie auch als ein Mensch mit klarem ethischem Kompass, der anderen Menschen mit Achtung und Wertschätzung begegnet und etwas zu geben hat, und dies auch gerne, aus ganzem Herzen tut. Warum also schreibe ich über dieses überaus dunkle Kapitel meines Lebens und gebe es damit der Öffentlichkeit preis? Trotz meiner unbestreitbar vorhandenen Tendenzen, mich von der Welt zurückzuziehen und mich zu verstecken, gibt es auch einen großen Anteil in mir, der in seiner Gesamtheit nicht nur gesehen, sondern ebenso angenommen und wertgeschätzt werden möchte. Dazu zählt gleichermaßen auch meine dunkle Seite, die sich insgeheim doch nach dem Licht und nach Erlösung sehnt. Und hier ist sie also!