
Schattenarbeit: Der Umgang mit unangenehmen Gefühlen
Wut, Angst, Enttäuschung und Traurigkeit: Diese vier Gefühle begleiten mich schon mein ganzes Leben auf ganz besonders nahe Weise. Und obwohl sie mir so sehr vertraut sind, tue ich mich bis heute schwer damit, einen für mich stimmigen Umgang mit ihnen zu finden, nämlich derart, dass ich sie endlich frei von Scham und „schlechtem Gewissen“ – frei von inneren Blockaden – artikulieren und auch adressieren kann. Schon als kleiner Junge musste ich wiederholt die Erfahrung machen, dass mir die Rechtmäßigkeit dieser Empfindungen immer wieder abgesprochen wurde, indem ihnen entweder mit Gleichgültigkeit, oder bisweilen sogar mit triefendem Spott begegnet wurde.
Ohne es damals benennen und artikulieren zu können, empfand ich diese Reaktionen der Erwachsenen als eine mich zutiefst verletzende Ungerechtigkeit mir gegenüber, was irgendwann dazu führte, dass ich diese Empfindungen Niemandem mehr offen zeigte und sie stattdessen tief in mir verbarg; bis ich sie irgendwann selbst nicht einmal mehr wahrnehmen, benennen und erkennen konnte. Bis zum heutigen Tag sind mir diese Gefühle noch immer derart „peinlich“, dass ich mich selbst vor mir sehr vertrauten und mir nahestehenden Menschen davor scheue, sie anzusprechen und es mich immense Überwindung und inneres Ringen kostet, sie überhaupt zu zeigen – aus Angst davor, ihretwegen erneut verspottet, ignoriert und nicht ernstgenommen zu werden.
Seitdem ich vor einigen Jahren damit begonnen habe, mich intensiv mit meiner Biografie und meiner inneren Entwicklung zu beschäftigen, und in diesem Zusammenhang immer wieder mit der Frage nach dem Kern meiner Individualität konfrontiert werde, sind mir zwei Eigenschaften oder auch innere Qualitäten, ganz besonders wichtig geworden und im übertragenen Sinn ans Herz gewachsen: Ehrlichkeit und Authentizität. Ich möchte den Menschen, aber gleichermaßen auch mir selbst, offen und frei begegnen und mich mit allem was mich ausmacht auch zeigen können und dürfen. Ich möchte Willkommen sein! Doch wie kann mir das gelingen, wenn doch Angst und Scham gleichzeitig so tief in mir verwurzelt sind, und ich mich ganz impulsiv eher in mich und vor der Welt zurückziehe, wenn diese Gefühle in mir Oberhand gewinnen?
Selbst beim Schreiben dieser Zeilen spüre ich große innere Widerstände und Zweifel daran, ob ich hier „das Richtige“ tue. Denn wen (von ganz wenigen Menschen einmal abgesehen) interessiert mein Innenleben, meine seelischen Konflikte und meine Verletzungen? Und doch hat es etwas Befreiendes, es einfach auszusprechen, anstatt es wie bisher ausschließlich in mir zu bewegen und mich ihretwegen aus Scham und Weltschmerz zu verstecken!
Zu lernen und es ganz allmählich -mit buchstäblich winzigen Schritten – auch zu fühlen und damit zu be-greifen, dass selbst diese so unangenehmen Gefühle sein und gezeigt werden dürfen, egal, was andere Menschen davon halten mögen, oder wie sie darauf womöglich reagieren (oder gar nicht reagieren): Diese Einsichten in mir und in mein Handeln zu integrieren – es irgendwann zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen – ist eine große Aufgabe für mich. Doch der erste Schritt ist bereits getan!