Sprache als Instrument: Vom Trauma zur Kunst

Sprache als Instrument: Vom Trauma zur Kunst

27. Mai 2023 0 Von Eckhard Neuhoff

Meine ersten „Gehversuche“ beim Schreiben von Poesie reichen bis in die Neunzigerjahre zurück. Und bis heute kann ich mich an dieses staunend-intensive Glücksgefühl erinnern, das mich damals beim Schreiben meines allerersten Gedichtes durchströmte, als ich auf diese Weise erstmals Zugang zu meinem Innersten bekam und Worte entdeckte, mit denen ich das was mich bewegt, beschreiben und ausdrücken konnte. Dieses innige Glücksgefühl ist bis heute in mir vorhanden, wenn ein Gedicht entsteht, die Worte nur so aus mir herausfließen und sich zu einem harmonischen, in sich runden und stimmigen Ganzen formen und ordnen.

Das was mich innerlich bewegt und beschäftigt auf künstlerische Weise auszudrücken, es zu auf diese Weise zu offenbaren, fällt mir wesentlich leichter als darüber zu sprechen, es einem lebendigen Gegenüber zu erzählen. Denn mich im Gespräch derart ehrlich und unverfälscht, so unmittelbar und „nackt“ zu zeigen, ist bis zum heutigen Tag mit seelischen Hemmnissen, großer Unsicherheit und Ängsten verknüpft. Das gilt selbst für Gespräche mit mir nahestehenden Menschen, denen ich eigentlich vertraue und die mich wirklich gut kennen. Bei genauerer Betrachtung ist es eine tiefsitzende Angst vor Zurückweisung, vor Unverständnis und deutlich formulierter Ablehnung, die noch immer aus lang zurückliegenden, aber dennoch äußerst präsenten Kindheitserfahrungen herrührt. Wie oft bin ich für das was ich empfand und dachte, verlacht, ignoriert und zurückgewiesen worden, weil es mein Gegenüber nicht interessierte, oder womöglich auch überforderte und verunsicherte!

Die unmittelbare Folge dieser so verletzenden Erfahrungen war, dass ich mich schon als Kind von der Außenwelt immer mehr zurückzog und mich kaum noch mitteilen mochte. Ich verstummte. Und diese umfassende Verunsicherung und Hemmung manifestierte sich ungefähr ab meinem elften Lebensjahr in einer psychosomatischen Sprachstörung, die mir das freie und ungehemmte Sprechen nahezu unmöglich machte, und die in meinem täglichen (Er)Leben für noch mehr Spott, Ablehnung und Gelächter sorgte.

Auch wenn heutzutage von dieser mich über Jahrzehnte begleitenden Sprach-„Behinderung“ dank meiner intensiven inneren Arbeit kaum noch etwas übrig geblieben ist, und sie sich lediglich bei großer Müdigkeit und starker seelischer Erschöpfung oder innerer Aufgewühltheit überhaupt noch bemerkbar macht: Dieses latente Gefühl von Verunsicherung und die grundlegende Angst vor Ungeduld und Spott meines Gegenübers sind mir- wenn auch in stark abgeschwächter Form- bis heute erhalten geblieben, sodass ich mich noch immer davor scheue, andere Menschen im Gespräch von Angesicht zu Angesicht wirklich in meine Seele schauen zu lassen.

Angesichts dieser für mich so prägenden wie traurigen und auch traumatischen Vorgeschichte, ist es mir mit der Zeit immer wichtiger geworden, sowohl im Gespräch wie auch beim Schreiben, so unmissverständlich, ausführlich und eindeutig wie möglich zu formulieren. Aus dieser inneren Notwendigkeit heraus, ist meine Arbeit mit Sprache zu (m)einem höchst individuellen und ausgesprochen eigenwilligen Weg der Achtsamkeit, wie auch des mich immer mehr Entdeckens geworden. Und womöglich waren es auch diese erschütternden frühen Erfahrungen, die mir diesen bewussten Zu-und Umgang mit Sprache, und meine tiefe Liebe und Verbundenheit zu und mit ihr, überhaupt erst ermöglicht haben. So ist Sprache zu meinem Instrument geworden, zu meinem ganz individuellen künstlerischen Ausdrucksmittel. Und dafür bin aus ganzem Herzen dankbar!