
Traumafolgen und die Unfähigkeit zu Fühlen
„Du bist als Kind gebrochen worden!“ Diese erschütternde Aussage meines Bruders beschäftigt mich nun schon seit etlichen Monaten, ohne dass es mir bisher gelungen ist, dazu einen inneren, gefühlten Bezug herzustellen. Obwohl mein Empfinden mir sagt, dass diese Aussage wahr ist und sie mich tief getroffen hat, ringe ich noch immer darum, ihre Bedeutung zu begreifen. Was heißt für mich „gebrochen“? Immer dann, wenn mir diese Aussage in den Sinn kommt, verspüre ich eine starke innere Blockade, die mich daran hindert (oder davor schützt?), ihre ungeheure Wucht samt ihres gesamten, für mich nicht abzuschätzenden Ausmaßes tatsächlich zu erfassen.
Es sind lediglich bruchstückhafte und abstrakte Erinnerungsfetzen ohne jede dazugehörige Emotion die mir in den Sinn kommen wenn ich versuche, mich an konkrete Ereignisse zu erinnern, die dieses Gebrochen worden sein ursächlich ausgelöst haben: So erinnere ich mich daran, dass ich in Konflikten mit meiner Mutter sehr oft starr vor Angst war, außerstande mich zu erklären oder gar zu verteidigen, weil es mir buchstäblich die Sprache verschlagen hatte. Oder ich sehe Szenen vor mir, wo ich mit einem äußerst schmerzhaften Knoten in der Magengegend auf dem Heimweg war, mir die Schritte zunehmend schwerer fielen, schon vorausahnend, dass es Zuhause wieder großen Ärger geben würde. So bruchstückhaft und verschwommen diese Erinnerungen auch sein mögen, erfüllen sie mich noch heute nach gut 50 Jahren mit Beklemmungen und großem Unbehagen.
Dass all diese Ereignisse sich dauerhaft in meiner Seele festgesetzt und massive Auswirkungen auf mich und meine weitere Entwicklung genommen haben, steht außer Frage. Denn meine gesamte Biografie ist bis zum heutigen Tag voller Brüche und Scheitern auf vielen Ebenen. Gleiches gilt für meine gefühlte und erlebte Ziel- und Wurzellosigkeit, meine Unsicherheiten, Depressionen, Bindungsstörungen und die Unfähigkeit, im Leben „normal“ Fuß zu fassen.
Es gibt Tage, an denen ich mich innerlich noch immer wie erstarrt fühle, unfähig, Freude oder Trauer zu empfinden; geschweige denn überhaupt benennen zu können, was ich empfinde. Wenn ich versuche, diesen Symptomen nachzugehen, dann sehe ich noch immer den kleinen, vollkommen verängstigten, „zusammengestauchten“ Jungen vor mir der ich einst war. Und es fühlt sich so an, als sei ein Teil von mir niemals erwachsen geworden, sondern im Damals stehen geblieben, vollkommen paralysiert.
Auf einer rein abstrakten Ebene weiß ich: All diese Symptome weisen auf ein schweres Trauma hin, das bis zum heutigen Tag zu großen Teilen unbewältigt und unverarbeitet ist. Und doch fühle ich keinerlei Wut auf die Verursacher (namentlich meine Mutter). Stattdessen gebe ich mir selbst die größte Verantwortung für meine Unfähigkeit, mein Leben erfüllt und sinnvoll zu gestalten, konkrete Ziele konsequent zu verfolgen, tragfähige Beziehungen einzugehen, usw.
Ganz bewusst verzichte ich heute darauf, dem Ganzen etwas Versöhnliches und Bestärkendes entgegenzusetzen. Denn ungeachtet meiner sämtlicher Ressourcen; Fähigkeiten und Begabungen, derer ich mich trotz allem durchaus bewusst bin, hat auch dieser dunkle Aspekt meines Seins seine Berechtigung, nur für sich gezeigt und gesehen zu werden. Also belasse ich es für heute dabei.
Auch ich wurde als Kind gebrochen und bin mehrfach traumatisiert. Diese Erfahrungen spielen bis heute zu in meinem Leben mit hinein. Es kommt sogar häufig vor, dass ich über mich in der dritten Person erzähle, so, als wenn ich diese Erfahrungen nicht gemacht hätte, danke für diesen Beitrag