Auf dem Weg zum Ich: Die Heilkraft von Stille

Auf dem Weg zum Ich: Die Heilkraft von Stille

5. April 2024 0 Von Eckhard Neuhoff

Es gibt ein Vergessen alles Daseins, ein Verstummen unsers Wesens, wo uns ist, als hätten wir alles gefunden.

Friedrich Hölderlin

Nicht nur in meinen Gedichten nimmt das Thema „Stille“ einen äußerst wichtigen Platz ein, sondern auch und ganz besonders in meiner täglichen Meditationspraxis. Ganz bewusst begebe ich mich jeden Morgen in die Stille und versuche (mal mehr und mal weniger erfolgreich), meine oftmals lauten, und in alle nur möglichen Richtungen verstreuten Gedanken zur Ruhe zu bringen. Doch es geht dabei nicht nur um meine Gedanken, sondern vor allem darum, innerlich zur Ruhe zu kommen, „runter zu fahren“, um mich gewissermaßen von innen heraus immer besser wahrnehmen und spüren zu können.

Eine der Spätfolgen meiner erlittenen Traumata ist, dass es mir nur selten gelingt, meine Gefühle überhaupt wahrzunehmen und zuordnen, sie benennen zu können, um so mit ihnen in Kontakt zu treten. Im „Normalzustand“ nehme ich nämlich nur die wirklich starken und extremen Gefühle, wie Wut und Angst, aber auch große innere Berührtheit und Euphorie wahr. Die eher leisen Zwischentöne, die Nuancen, bleiben mir meistens verborgen. Erst in der relativen Stille der Meditation öffnet sich in mir eine Tür zu den eher leisen seelischen Regungen zumindest einen Spalt weit, sodass ich eine ungefähre Ahnung von dem bekomme, was alles in mir vorhanden ist.

Dass ich in meiner Poesie so ausdrucksstark und nuanciert das wirklich tiefe Erleben und die Qualitäten von Stille, von Frieden, Sein und Ganzheit in Worte zu fassen vermag, habe ich ebenfalls meiner Meditationspraxis zu verdanken. Denn auch, wenn es mir in diesen Momenten nicht wirklich bewusst ist, so nehme ich dennoch auf einer anderen und tieferen Ebene wahr. Und es dringt dabei immer mehr in mein Bewusstsein, dass das Eintauchen in die Stille, so unvollkommen oder auch unvollständig es mir im jeweiligen Moment auch erscheinen mag, ein wesentliches und hoch wirksames Element meines inneren Heilungsprozesses ist.

Mich in die Stille zu begeben ermöglicht mir nämlich einerseits, mich immer mehr mit mir selbst zu verbinden, mit allem was mich ausmacht. Und andererseits habe ich das Empfinden, mich dort mit einer unvorstellbar großen schöpferischen Kraft oder Quelle zu verbinden, die meine Kreativität, mein Ausdrucksvermögen -und damit auch meine Sichtbarkeit – stärkt und fördert, mich immer wieder ermutigt.

Beides im Verbund zu erleben und zu spüren, vervollständigt und ergänzt meine Selbstwahrnehmung und schafft auf diese Weise ein deutlich spürbares Gegengewicht zu meinen noch immer tief verwurzelten Unsicherheiten, zu meinem Empfinden von „Gebrochenheit“ und zu meinen gefühlten Schwächen. Das alles bedeutet Heilung!

Herzraum

Ich tauche hinab in die tief blaue Stille,
auf dass sich mein Herz mit Frieden erfülle,
es dankbar sich weite, von Mühsal befreit
und sanft sich verzeihe, was lang es bereut.

So kommt es zur Ruhe, wird friedlich und leise,
besinnt sich ermutigt des Sinns seiner Reise,
hält Einkehr und übt sich in Demut und Stärke,
vertraut neu dem Leben mitsamt seiner Werke.

(aus meinem Gedichtband "Der Klang der Stille")