Auf dem Weg zum „Ich“: Warum ich meditiere

Auf dem Weg zum „Ich“: Warum ich meditiere

15. März 2024 4 Von Eckhard Neuhoff

Vorbemerkung

Der folgende Text bildet den Auftakt zu einer losen, thematisch zueinander gehörenden Reihe von Artikeln mit dem übergeordneten Titel „Auf dem Weg zum „Ich“. Dieses Thema bewegt und beschäftigt mich schon mein halbes Leben. Denn nach und nach herauszufinden, was mich als Individualität in meiner Gesamtheit ausmacht und beschreibt, ist – vor dem Hintergrund meiner seelischen Verletzungen und Prägungen – eine wohl lebenslange und für meine Genesung sehr zentrale und unverzichtbare Aufgabe.

In diesem und den demnächst sporadisch folgenden Texten beleuchte ich deshalb verschiedene und mir wichtige Aspekte meines Weges zu mir, auf der Suche nach einem, in erster Linie für mich stimmigen Gesamtbild dessen, was mich als Individualität, als bewusstes „Ich“ ausmacht.

Warum meditiere ich?

Aus welchen Gründen meditiere ich? Und habe ich ein Ziel, das ich mit Meditation erreichen möchte? Diese Fragen begleiten mich, seitdem ich damit begonnen habe zu meditieren. Und immer musste ich in der Vergangenheit feststellen, dass mir eine eindeutige und meinen Verstand befriedigende Antwort darauf ausgesprochen schwer fällt. Eine dieser möglichen Antworten lautet: Ich meditiere, um innerlich zur Ruhe zu kommen und um mein sich fast ständig drehendes Gedankenkarussell wenigstens zeitweise zum Stillstand zu bringen.

Eine weitere, regelmäßig wiederkehrende Antwort ist diese: Ich meditiere, um mich immer vollständiger und achtsamer wahrnehmen zu können. Und als dritte Möglichkeit kommt mir immer wieder in den Sinn: Ich meditiere mit dem zumeist unterbewussten, aber dennoch sehnlichen Wunsch, in einen Zustand reinen Seins zu gelangen; auf der Suche nach verborgenen Antworten auf die große und drängende Frage nach Sinn und Ziel meiner Existenz – verbunden mit dem tiefen und sehnsuchtsvollen Wunsch nach allumfassendem innerem Frieden und nach vollständiger Heilung meiner tiefsitzenden seelischen Traumata.

Mich ausprobieren, Hindernisse und Gewohnheiten

Auf der Suche nach „meiner“ Meditationsform habe ich mich im Laufe der letzten Jahre mit unterschiedlichen Formen und Wegen innerhalb der Meditation befasst und Verschiedenes ausprobiert: So habe ich mit Mantren experimentiert, wie auch mit geführten Meditationen zu unterschiedlichen Themen. Doch jedes Mal habe ich über kurz oder lang sehr deutlich gespürt, dass dies alles wohl nicht wirklich meins ist, weil es nicht zu mir passt oder gehört. Denn jedes Mal, wenn ich nach einer Erklärung für dieses Empfinden suchte, spürte ich unmissverständlich, dass mich diese Formen der Meditation auf meiner Reise zu mir selbst zu sehr einengen und begrenzen.

Schon mein Leben lang ist es mir ausgesprochen schwer gefallen, gezielt neue Gewohnheiten in meinen Alltag zu integrieren; also eine bewusste Entscheidung zu treffen, etwas vollkommen Neues fest in meinen Tagesablauf einzubinden – einfach nur deshalb weil ich der Überzeugung bin, dass es mir guttut. Umso erstaunlicher erscheint es mir deshalb noch immer, dass mir dieser Schritt bei der Meditation so ausgesprochen leicht und wie selbstverständlich gelungen ist, ohne, dass ich diese Entscheidung jemals ernsthaft infrage gestellt habe.

Selbst schwere depressive Phasen oder seelische Erschütterungen konnten mich bislang nicht davon abhalten, mich früh am Morgen wenigstens ein paar Minuten in Meditation zu begeben. Genauso wenig wie die gelegentlich leicht frustrierende Tatsache, dass ich auch nach mehreren Jahren regelmäßiger Meditationspraxis gelegentlich noch immer das Gefühl habe, ein „blutiger Anfänger“ zu sein, dem es nach wie vor schwerfällt, wirklich zur Ruhe zu kommen und sich zu fokussieren; geschweige denn, dass ich meinem Sehnsuchtsziel, einer konsistenten inneren Balance und tiefen Einsicht in mein Sein, auch nur einen Schritt näher gekommen wäre. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Je länger ich meditiere, desto weiter scheine ich von „greifbaren“ Resultaten entfernt zu sein.

Wie ich mich sehe und erlebe

Als ein Mensch mit einem außerordentlich schweren „Rucksack“ in Form komplexer seelischer Traumata, bin ich in meinem tagtäglichen Erleben und Empfinden damit konfrontiert, dass ich in meiner Gesamtheit zumeist nicht mit mir übereinstimme und lediglich über ein sehr unscharfes und widersprüchliches, leicht zu erschütterndes Selbstbild verfüge. Fast durchgängig fühle ich mich nicht vollständig, ohne Wurzeln und ohne klare Ziele in meinem Leben. Und immer wieder habe ich das sehr starke Gefühl, dass in mir die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Anteile miteinander existieren, sie jedoch nicht ineinander passen und miteinander harmonieren wollen. Sie bilden in meiner Selbstwahrnehmung kein vollständiges Ganzes, sondern existieren in Form von verschwommenen, unscharfen, und bisweilen äußerst schmerzhaften Bruchstücken, die sich nicht zusammenfügen lassen wollen. Wohl auch deshalb ist es mir gerade in meiner Poesie so außerordentlich wichtig, das Streben und Erleben nach und von Harmonie, nach innerem Frieden und innerer Ganzheit immer wieder zu betonen und zum Ausdruck zu bringen.

Der gesunde „Kern“

Warum also um alles in der Welt meditiere ich? In ganz seltenen und nur Sekundenbruchteile andauernden Momenten gelange ich ab und an in meinen Meditationen an einen Punkt reiner, von Gedanken und Emotionen gänzlich unbelasteter und unverfälschter Wahrnehmung, innerhalb dessen ich mir eines ganz besonderen Anteils meines Selbst bewusst werde: Es ist der Teil von mir, der von all meinen Schwierigkeiten, Ängsten, Sorgen, Unsicherheiten und Verletzungen völlig unberührt zu sein scheint und der tatsächlich absolut gesund ist. Ich nenne es meinen Wesenskern, oder meine wahre und eigentliche Essenz. Und es sind – so glaube ich – genau diese überaus seltenen und doch wahrhaftig kostbaren Momente, die mich weitermachen lassen, allen Zweifeln und aller gelegentlichen Frustration zum Trotz. Denn auf diese Essenz, diesen meinen Wesenskern setzte ich all meine in mir vorhandene Hoffnung auf umfassende Heilung, inneren Frieden und tatsächliche Ganzwerdung. Irgendwann.

Vor geraumer Zeit ist mir nun dieses innere Streben nach Ganzheit und harmonischer Vollständigkeit auch für meinen Meditationsweg bewusst geworden: Ich möchte lernen, mich als ein in sich stimmiges Ganzes zu spüren, zu erkennen und wahrzunehmen, um dieses Erleben vielleicht irgendwann auch dauerhaft in mein Alltagsbewusstsein übertragen zu können, als bewusst erlebten und gefühlten Heilungsprozess.

Mein Meditationsweg

Seitdem mir dies bewusst geworden ist, fühlt sich mein bislang eher unkonkreter Meditationsweg mit einem Mal wesentlich stimmiger und konsistenter an. Denn ich spüre immer deutlicher, dass es keiner Mantren oder sonstiger „Techniken“ bedarf, um diesen inneren Zustand, das Empfinden von harmonischem, vollständig stimmigem und bedingungslosem Ganz-Sein in der Meditation zu erreichen. Mein einziger Fixpunkt beim Meditieren ist tatsächlich „nur“ mein Atem, den ich bewusst beobachte, und dem ich mich Schritt um Schritt anvertraue. Alles andere geschieht tatsächlich ganz von allein. Und ganz allmählich gelingt es mir auch, ein immer deutlicher wahrnehmbares Empfinden von innerer Ruhe und Gelassenheit gegenüber allem was geschieht und in mir vorgeht, als eine Art innerer „Grundhaltung“ in meinen Alltag zu übertragen.

Auf diese Weise lerne ich allmählich, dass insbesondere die Meditation nicht dem alltäglichen, unbewussten Leistungs- und Erfolgsprinzip unterliegt, sondern ein allein aus sich heraus liebevoller und achtsamer Akt der Selbstfürsorge, der Achtsamkeit und der Selbstregulation sein darf – ohne jede Vorbedingung und ohne eine inneren Leistungsdruck erzeugende Erwartungshaltung.