Was Sprache für mich bedeutet

Was Sprache für mich bedeutet

28. März 2024 0 Von Eckhard Neuhoff

Die Sprache ist der Schlüssel zur Welt.

Ludwig Wittgenstein

Als ein Mensch mit einem biografisch bedingt sehr besonderen Verhältnis zur Sprache (siehe dazu auch meinen Text „Vom Trauma zur Poesie„) und zur Kommunikation mit anderen Menschen, beschäftige ich mich immer wieder gerne und intensiv mit ihrer Substanz, ihrer Tiefe und mit ihrem klanglichen wie inhaltlichen Reichtum. Deshalb achte ich beim Schreiben, wie auch im Gespräch, nicht nur sehr bewusst auf die Auswahl einzelner Worte und Sätze, sondern insbesondere bei meinen Gedichten, auch auf ihren Rhythmus und Klang, ihre Melodie. Jedes einzelne Wort hat nämlich seine ganz eigene Klangfarbe und Wirkung. Und jeder Satz eines Gedichtes oder Textes hat seinen ganz individuellen, besonderen Rhythmus. Doch erst in der in sich stimmigen Verbindung von Inhalt und Form des Ausdrucks, wird ein Gedicht oder Text „rund“, und entfaltet seinen von mir intendierten, einzigartigen Charakter.

Sprache als ein Ausdruck von Energie

Je länger und achtsamer ich mich mit Sprache befasse, geht sie nach meiner Wahrnehmung in ihrer Wirkung immer deutlicher darüber hinaus, ein bloßes Mittel zum Austausch und zur Präsentation von Informationen zu sein. Jeder sowohl gesprochene, als auch geschriebene Satz, wie auch einzelne Worte, lösen in uns ganz unmittelbar etwas aus. Denn in jedem Satz und in besonderen Worten schwingen Stimmungen und Absichten mit, für mein Empfinden als eine Form von spürbarer Energie – in allen nur vorstellbaren Facetten. Worte und Sätze, ob gesprochen oder geschrieben, können uns Freude oder Kummer bereiten, uns aufmuntern, trösten und stärken; sie können Wunden heilen, aber auch aufreißen – je nachdem, welche Intention der Sprechende oder Schreibende hat, und, wie feinfühlig und durchlässig der Empfangende ist.

Doch nicht jedes Buch, jeder Text oder jedes gesprochene Wort wird bei allen Menschen etwas Gleiches auslösen. Manches lässt uns völlig unberührt, weil es unserer momentanen seelischen „Frequenz“ nicht entspricht. In einem Gespräch reden wir dann aneinander „vorbei“. Und das Gedicht, der Inhalt eines Buches oder Textes, lassen uns völlig „kalt“. Im Idealfall jedoch berührt uns ein Text, ein Gedicht oder ein gesprochenes Wort tief in der Seele und schenkt uns vielleicht wichtige Impulse, Freude, Trost; und damit dem Guten und Schönen dienende Anregungen und Stärkung für unser Leben.

Sprache als Wegweiser zur Selbstreflexion und Genesung

Als ich in den Neunzigerjahren erstmals damit begonnen habe Gedichte zu schreiben, war dies eine wahre Offenbarung für mich. Denn mit einem Mal vermochte ich zumindest zeitweise, in das zuvor mich meistens nur verwirrende und scheinbar unübersichtliche Dickicht meiner Gefühle und Gedanken, Ordnung, Klarheit und Struktur zu bringen. Auch wenn diese Erkenntnis sich für mich damals noch nicht als dauerhaft oder nachhaltig erwiesen hat: Es wurde ein Samenkorn in mich gelegt, das in späteren Jahren dann zu meiner allmählichen seelischen Genesung und zunehmenden Klarheit beitragen sollte.

Je länger und intensiver ich mich mit der Vielfältigkeit und Fülle von Sprache befasse, umso bewusster wird mir die schier unglaubliche Macht, die in ihr verborgen ist, und welch große Verantwortung dem Umgang mit Sprache deshalb innewohnt. Denn nach meiner teilweise sehr leidvollen Erfahrung, kann Sprache auch konfrontieren, schmerzhaft scharfe Grenzen ziehen, Wunden schlagen und trennen.

Neben diesen schmerzhaften Erfahrungen habe ich jedoch immer mehr erleben dürfen, dass diese der Sprache innewohnende Kraft auch, und von mir eindeutig bevorzugt, Eines sein kann: heilsam und verbindend. Sowohl in zahlreichen Gesprächen, als auch durch mein schöpferisches Tun, durfte und darf ich immer wieder erfahren, dass Sprache in Wort und Schrift inneres Chaos, Ängste und Traurigkeit tatsächlich zu lindern, zu trösten und manchmal sogar aufzulösen vermag, indem sie beruhigend, liebevoll, mitfühlend und stärkend wirkt.

Die heilsame Verbindung von Sprache und Liebe

Wenn ich etwas mit, oder aus Liebe tue, dann verbinde ich mich ganz und gar mit dieser Tätigkeit, wie auch mit meinem Gegenüber, auf äußerst intensive und einzigartige Weise: Ich werde in diesem Moment Eins mit ihm. Und ich tue dies in dem Bewusstsein, dass es absolut freiwillig, aus mir heraus geschieht; ohne jeden Zwang und ohne, dass ich mich dazu von außen genötigt oder verpflichtet fühle. Denn wahrhaftige Liebe ist und kennt nichts anderes als Freiheit und innige Verbindung.

Was bedeutet das auf den Umgang mit Sprache bezogen? Es bedeutet für mich liebevolles, mitfühlendes, intuitives und achtsames Formulieren, ohne mein Gegenüber mit aller Macht überzeugen, willentlich verletzen, oder in meine Denkrichtung drängen zu wollen.

Es geht also um gegenseitiges Verstehen, sich aufeinander einlassen, sowie Akzeptanz der jeweils anderen, wie auch der eigenen Individualität – in aller Freiheit und Wertschätzung. Dies gilt ebenso für das Schreiben: nicht aufdrängen wollen und abspüren, was für die Lesenden womöglich genau passend, hilfreich und stärkend sein kann. Denn auch das ist heilsam!

Es ist also letztendlich die Liebe, die überall dort ihre großartige Heilkraft entfaltet, wo wir uns bewusst und freiwillig mit ihr verbinden, sie zu unserem Leitstern machen, und so unser gesamtes Handeln von ihr leiten lassen und uns ihr anvertrauen. Und ich bin sehr dankbar dafür, mit Sprache und Poesie über ein Medium zu verfügen, mit dessen Hilfe ich dieses Leitmotiv der Liebe in die Welt tragen kann.